Die Suche:
Mein Navigationsgerät führt mich nach Arsberg, wo der Weg vor einer Schranke endet. Ich parke mein Auto und folge der Straße Richtung Rödgen. Irgendwo links muss es sein, und einer Intuition folgend steige ich einen Pfad zur Linken hinauf und lande schließlich an einem Feldrand. Ich steige wieder hinab zum Ausgangspunkt und laufe weiter. Auf der Karte hatte es so einfach ausgesehen. Irgendwo in dieser Gegend soll es einen alten Eiskeller geben, und einige hundert Meter entfernt linkerhand liegt die angeblich größte und besterhaltene Burgmotte Europas, sicher aber des Niederrheins, ein Hügel im Wald, zu dem ein Weg zwischen zwei Teichen hindurch führt. Genau das ist das Problem. In diesem Wald sind überall Hügel. Und Teiche. Ich befrage die Online-Karte und folge den Koordinaten. Als ich an der Stelle stehe, an der die Motte angezeigt wird, ist weit und breit nichts Auffälliges zu sehen. Im Internet wird eine Treppe erwähnt, die jedoch nirgendwo zu erkennen ist. Ich folge erneut der Straße.
Nach einigen hundert Metern sehe ich rechts den Eiskeller, genau so, wie er im Internet abgebildet war, eine Ruine aus alten Zeiten. Gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite, verzückt mich ein romantisches schlossähnliches Häuschen mit Türmen. Freudig zücke ich die Kamera und lege an. Von der Ruine führen Stufen hinauf in den Wald. Und Stufen sind genau das, das ich suche! Auch wenn sie eigentlich auf der anderen Straßenseite und mitten im Wald sein sollten. Wo immer man um die Ecke schauen kann, kann ich nicht widerstehen! So folge ich dem schmalen Pfad bergauf durch den Wald, bis ich plötzlich vor Rapunzels Turm stehe! Märchenhafter hätte ihn sich niemand ausdenken können! Ich kann es nicht fassen – wie in einem Märchenwald, nur echt! Forschend umrunde ich den Turm, eine wildromantische Ruine im Abendsonnenschein, von der ich bisher nichts wusste, und bin verzückt! Auf einem umgestürzten Baumstamm esse ich einen Happen, nehme einen Schluss aus der Feldflasche und sichte endlich die mitgebrachte Wanderkarte. Ich habe etwas Wunderschönes und für mich Neues entdeckt, aber im Hinblick auf den alten Burghügel bin ich an dieser Stelle völlig falsch.
Voller Spannung lese ich, was das für ein Turm ist, den ich gerade im Wald „gefunden“ habe: der Wasserturm wurde – wie der Eiskeller – erst Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut, wird im Volksmund „Hexenturm“ genannt und diente neben dem ursprünglichen Zweck als Aussichtsturm. Er gehört zum ehemaligen Raky-Schlösschen, der Villa des ehemaligen Konstrukteurs und Unternehmers, dessen pittoreskes Pförtnerhaus ich vorhin bewundert hatte.
Mit der Wanderkarte in der Hand mache ich mich erneut auf den Weg zurück zur Straße, nicht ohne Rapunzels Turm einen letzten bewundernden Blick zuzuwerfen, folge ihr ein Stück und gehe schließlich links über einen Pfad zwischen den beiden moorigen Tümpeln des Raky-Weihers hindurch. Einen Fotografen im Rausch zu überholen ist ein Kinderspiel, und so passieren mich zwei kleine Mädchen mit einem zottigen Hund von beachtlicher Größe und grüßen freundlich. „Geht es hier zur Burgmotte?“ erkundige ich mich vorsichtshalber. „Nein, da musst du gegenüber vom Schlösschen die Treppe am alten Eiskeller hoch“, antwortet das kleinere Mädchen. Ich überlege. „Ich meine nicht den Turm, sondern einen großen Hügel im Wald mit einer Treppe.“ – „Ja, da bist du hier richtig. Du musst einfach weiter laufen“, entgegnet das Mädchen freundlich. „Du kannst ihn nicht verfehlen, ein Stück den Berg rauf, dann liegt der Hügel gleich links. Der Weg führt direkt daran vorbei.“ Ich bedanke mich artig und wende mich wieder meinem Fotomotiv, dem Schilf am Weiher, zu.
Später passiere ich den Helpensteiner Bach, folge dem Weg aufwärts und sehe den eindrucksvollen waldbestandenen Hügel schon von weitem. „Hallo! Wir sind hier oben!“ tönt es fröhlich durch den Wald. Die Mädchen mit Hund winken mir von der Kuppe aus zu. „Wo ist denn die Treppe? Wie komme ich denn hoch?“ – „Ich helf dir!“ ruft das kleinere Mädchen munter. Mir geht das Herz auf, aber gleichzeitig hoffe ich inständig, dass die netten Kinder nicht ständig so vertrauensselig sind oder dass der Hund gut auf sie aufpasst, aber in diesem Moment bin ich ihnen einfach nur sehr dankbar.
Als ich rechts um den Hügel herumlaufe, entdecke ich ein paar hölzerne Stufen. Ich muss mich tief unter den Zweigen eines Baumes hindurch bücken und folge dem kleinen Mädchen, das vor mir hinaufsteigt. Du lieber Himmel, viel älter darf ich für solche Abenteuer nicht mehr werden! Vorsichtshalber klammere ich mich an den Holzstufen fest und sehe vermutlich ziemlich unbeholfen aus.
Zwölf Meter hoch ist der künstlich aufgeschüttete Hügel, und seine Basis misst im Durchmesser 60 Meter. Doch das Schönste ist das Kreuz auf seiner Kuppe. Die Sonne scheint durch die Bäume und beleuchtet das Kreuz und die umliegenden knorrigen Baumwurzeln, und es scheint ein Zauber auf diesem Ort zu liegen. Ich berühre das sonnenbeschienene Kreuz. Was hat man sich nicht alles über diesen Ort erzählt? Zwerge sollten hier leben, „Feuermännchen“ – ich kann sie fast sehen, wie sie aus den Löchern zwischen den moosbewachsenen Wurzeln hervor lugen. Die Wurzeln selbst scheinen sich wie die Finger lebendiger Fabelwesen am Hügel festzukrallen. Die Weiße Frau und den Werwolf, von denen in mehreren Quellen die Rede ist, nehme ich diesem Ort auf der Stelle ab. Dem setzten die Christen einen anderen Glauben entgegen. Die Sonne wärmt meine Finger auf dem Kreuz und taucht die Szenerie in magisches Abendlicht, als ich mir die Kapelle vorstelle, die einst hier oben errichtet wurde für die Pilger, die an die heilenden Kräfte des Hügels glaubten. Sie banden ihre Krankheiten und Gebrechen an Zweige und ließen sie auf dem Berg, um gesundet hinabzusteigen. Vorsichtshalber richte ich einen stillen Wunsch an den Hügel oder vielleicht auch an den Himmel – ich weiß es selbst nicht. Bei all dieser Magie kann es nicht schaden.
Die Mädchen sind längst verschwunden. Erst jetzt nehme ich wieder meine Kamera zur Hand. Ich weiß, ich kann die Magie einfangen – auf meine Weise…
Hier noch ein paar Fakten:
Motte Aldeberg
Die zweiteilige Abschnittsmotte Aldeberg ist eine abgegangene Turmhügelburg im Helpensteiner Bachtal zwischen Arsbeck und Rödgen und gilt mit 12 Metern Höhe und 60 Metern Durchmesser an der Basis als größte Burgmotte am Niederrhein, je nach Quelle sogar als größte und besterhaltene in Europa. Sie besitzt einen vorgelagertem Vor- und Wirtschaftshof. Älteste Funde deuten auf eine Anlage Ende des 12. Jh durch den Dienstmann und Ritter von Orsbeck hin. Um das Bodendenkmal ranken sich Spukgeschichten vom Werwolf und von Heinzelmännchen. Ein Fürbitte-Kult mit Bindezauber-Brauchtum ist ebenfalls mit dem Hügel verbunden. An eine um 1850 aus diesem Grund dort errichtete Kapelle erinnert heute nur noch ein Kreuz. Eine weitere Motte befindet sich im Ortszentrum Beeck unmittelbar neben Haus Beeck.
Standort: Anton-Raky-Straße 31, Wegberg-Arsbeck (Parkgelegenheit – ab hier dem Weg in den Wald folgen, 200 Meter hinter dem Pförtnerhaus der Raky-Villa links zwischen den beiden Raky-Weihern hindurch. Die Motte liegt dann nach ca. 250 Metern auf der linken Seite), GPS ca. 51°8’47,6″N 6°11’45,4″E
Anton-Raky-Schlösschen, Aussichtsturm und Weinkeller
Malerisch mitten im Wald liegt ein „Rapunzel-Turm“, der ehemalige Aussichtsturm von Anton Raky, dem in Dalheim-Rödgen. In der Nachbarschaft befindet sich sein alter Wein- oder Eiskeller. An der Straße selbst befindet sich gut sichtbar und sehr hübsch anzusehen am Rakyweiher das alte Pförtnerhaus der Villa des Konstrukteurs und Unternehmers. Geht man zwischen den Weihern hindurch, gelangt man zur Motte Aldeberg (s.0.)
Standorte: Anton-Raky-Str. 18, Aussichtsturm GPS 51°08’54,7″N 6°11’36,5″E / Eiskeller 51°08’54,1″N 6°11’36,9″E