Die Geschichte der Sankt-Salvator-Basilika in Prüm lehrt uns, an Wunder zu glauben. Zwei Beispiele: Am Heiligen Abend 1945 war die Stadt durch den 2. Weltkrieg schwer zerstört. Der Winter war eisig und unbarmherzig, die Menschen müde, die Trümmer trostlos. Wie ein Hoffnungsschimmer ragte die von allen geliebte und verehrte Basilika aus den Schuttbergen hervor – voller Löcher und mit einer Holzbaracke im Kirchenschiff, aber immer noch intakt. Am 24. Dezember 1945 um 21 Uhr, eine Stunde vor der Christmette, durchbrach unheilvolles Grollen die Stille der Heiligen Nacht, gefolgt von einer riesigen Staubwolke. Mehrere Pfeiler hatten nachgegeben, der Dachstuhl über dem rechten Seitenschiff, Teile der Außenmauern und das Gewölbe des Langhauses waren zusammengestürzt und hatten die Holzbaracke im Kirchenschiff unter sich begraben. Eine Stunde später wären hunderte Menschen zu Tode gekommen. So schlimm es auch aussah, so war es doch ein Wunder, dass niemand Schaden nahm.
Ebenso eindrucksvoll: Die Flutkatastrophe im Juli 2021 überschwemmte in Prüm ganze Straßenzüge. Die Häuser standen teilweise bis zur Oberkante des Erdgeschosses unter Wasser. Doch vor der Basilika machten die Fluten Halt. Sie nahm keinen Schaden. Ein Lichtblick in der tiefen Verzweiflung dieses Sommers.
Weltlich gesehen könnte man sagen, dass die Erbauer den Platz umsichtig gewählt hatten, und das stimmt sicherlich auch. 721 n.Chr. gründete die fränkische Edle Bertrada die Ältere, die Urgroßmutter Karls des Großen, etwa dort, wo sich heute der Friedhof befindet, gemeinsam mit Ihrem Sohn Charibert von Mürlenbach das erste Kloster in Prüm. Die Mönche stammten aus dem Kloster Echternach und lebten nach den strengen Regeln des heiligen Columban. Dieses Stift gelangte noch nicht zu voller Blüte, so dass Pippin der Jüngere 752 das Kloster erneuerte. Er war mit Bertrada der Jüngeren (Enkelin der ursprünglichen Gründerin) verheiratet. Ihr ältester Sohn, der spätere Kaiser Karl der Große, war zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre alt. Benediktinermönche aus Meaux bei Paris bezogen das neue Kloster. Ab 762 erhielt es in der Nähe der ehemaligen Tettenbachmündung in die Prüm deutlich größere neue Gebäude und eine Kirche, die nach Pippins Tod 768 von Karl dem Großen so reich mit Gold- und Silberschätzen ausgestattet wurde, dass sie „Goldene Kirche“ genannt wurde. Pippin selbst hatte neben vielen anderen Reliquien und Kunstschätzen Teile der Sandale Christi nach Prüm gebracht, ein Geschenk von Papst Zacharias, das für die Namensgebung der Kirche bis heute maßgeblich ist: Sankt Salvator (von lat. salvator = Heiland, Erlöser).
Die Basilika erhielt 1721 ihr heutiges barockes Gesicht. Sie wurde weitgehend neu gebaut, jedoch ist der heutige Nordturm identisch mit dem Südturm des Vorgängerbaus. Bei den jüngsten Sanierungsarbeiten 2018 wurden Teile des alten Mauerwerkes freigelegt und dauerhaft sichtbar gemacht. Unter anderem ist eine alte Bogenöffnung des Seitenschiffs erkennbar, ebenso zehn Stufen einer Spindeltreppe. Die mittelalterlichen Fundamente einer früheren romanischen Prümer Abteikirche aus dem 11. oder 12. Jahrhundert sowie Spuren der ehemaligen Abtsburg und eines Zeughauses sowie Reste eines Kalkofens wurden bei der Neugestaltung des Hahnplatzes ausgegraben. Fundstücke reichen bis in die Römerzeit zurück. Eine Bodenplatte aus Carrara-Marmor stammt möglicherweise noch von der ursprünglichen „Goldenen Kirche“.
Auch wenn man dies alles nicht weiß, lädt die Basilika bei jedem Besuch zum Schauen und Staunen ein und vermittelt mir wieder und wieder ein andächtiges Gefühl. Ich mag ihre Farben und wie sie in der Sonne leuchtet, den lichtdurchfluteten Innenraum und das „heilige Gefühl“, das ich bekomme, wann auch immer ich auch nur den Mittelgang entlang schaue! Prüm liegt im Talkessel, und von allen Seiten kann ich sehen, wie sich die Basilika freundlich strahlend über die umliegenden Häuser erhebt. Nach all den Jahren der stillen Verehrung habe ich nun endlich das Glück, sie von Prüms Stadtführerin Monika Rolef gezeigt zu bekommen, einer Zeitzeugin seit dem 2. Weltkrieg und sprudelnder Quell spannender Prümer Geschichte(n).
Wir betreten die Kirche durch eine mächtige hölzerne Flügeltür (schon die Türklinke gibt mir das Gefühl, plötzlich auf halbe Größe geschrumpft zu sein). Neben dem wuchtigen Portal sind zwei Statuen angebracht: Pippin der Jüngere (links) und Karl der Große (rechts). Wir treten ein. Linkerhand befindet sich die Kapelle für die Reliquien der heiligen drei Ärzte Marius, Adifax und Abacum. Im rechten Seitenschiff stellt eine Grablegungsgruppe die Trauer um Jesus nach dessen Tod dar. Sie stammt ursprünglich aus der Krypta der 1949 zerstörten Kalvarienbergkapelle. Damals explodierte im Berg gelagerte Munition, und erneut verschwand Prüm in einer Wolke aus Staub und Zerstörung. Die Sonne scheint auf die bunt leuchtenden Figuren, und die Trauer, die sie ausstrahlen, und ihre Schönheit treiben mir gleichermaßen die Tränen in die Augen. Ich bin dankbar, dass es sie noch gibt und dass sie hier einen derart würdigen Platz gefunden haben. Andächtig schreiten wir durch das Mittelschiff bis zum Altarraum. Die Sandalen Christi! An Feiertagen kann man sie bestaunen – und während der Prümer Kirmes. Völlig unvorbereitet stand ich 2019 bei einem meiner zahlreichen Besuche plötzlich vor dem geöffneten Schrein und starrte auf das alte Stück, das von so großer Bedeutung ist. Untersuchungen haben bestätigt, dass die Reliquie aus der Zeit Jesu und aus der Gegend um Jerusalem stammt. Sie wurde zu karolingischer oder merowingischer Zeit in einen Stoffschuh eingearbeitet. Neben ihrem neugotischen Schrein beeindruckt der barocke Hochaltar aus dem Jahr 1727 sowie das Hochgrab des Kaisers Lothar I., eines Enkels Karls des Großen, rechts neben dem Hochaltar, flankiert von einer Padiglione (Basilikaschirm) mit dem Prümer Wappen. Zwei Gemälde von Januarius Zick zeigen die Klostergründung und die Einweihung der Klosterkirche 799 unter Anwesenheit Karls des Großen und des Papstes Leo III. Beim Betrachten des Chorgestühls aus Eichenholz stockt mir fast der Atem. Zu fein und gleichzeitig gewaltig sind die geschnitzten Figuren – eine andere an jedem Stuhl! Es wurde 1731 als erste neu geschaffene Einrichtung in die neu erbaute Kirche gestellt und kann ebenfalls unglaubliche Geschichten erzählen. So konnte es 1802 trotz eines Verkaufs an einen Privatmann an Ort und Stelle verbleiben und überstand den 2. Weltkrieg unbeschadet, da es bereits 1940 eingemauert worden war. Beim Einsturz 1945 hatte es sich noch in Sicherheit befunden. Voller Ehrfurcht streiche ich mit der Hand über das dunkle Holz und setze mich andächtig und sehr vorsichtig darauf. Und schaue nach oben, denn da gibt es noch mehr zu sehen! Gleich oberhalb dieses Kunstschatzes befindet sich ein 50 Quadratmeter großer Chorteppich, der 1895 von Franz Wirth entworfen und 1908-1918 von 30 Frauen des Prümer Paramentenvereins bestickt wurde. Er zeigt die Erschaffung der Welt. Ich verliere mich in der Betrachtung der 1000 Einzelheiten und Szenen, die in diesem Teppich verwoben sind.
Wohin wir auch schauen – jede Kleinigkeit in dieser Basilika lädt zum Staunen ein und erzählt Geschichten. Allen voran ein kleiner Barockengel mit Pfeil und Bogen am Hochaltar. Er erzählt die Geschichte von „Nithards Pfeil“ – womit wir wieder beim Thema „Wunder“ wären: Um 882 beschlossen der fromme, wohlhabende Ritter Nithard und seine Frau Erkanfrida, ihr Vermögen einem Kloster zu hinterlassen, da sie kinderlos waren. Sie lebten in den französischen Ardennen, wo es viele Klöster gab, konnten sich jedoch nicht entscheiden und baten einen Priester um Rat, der ihnen vorschlug, Gott selbst bestimmen zu lassen. So veranstalteten sie ein großes Fest. Zum Abschluss bestieg das Paar mit seinen Gästen einen nahe gelegenen Berg. Vor all diesen Zeugen schoss Nithard kraftvoll einen Pfeil mit einer Schenkungsurkunde in den Himmel. Die Wolken schienen sich aufzutun, und eine lichtumflutete Gestalt ergriff den Pfeil und trug ihn davon. Abt Ansbald las derweil in Prüm die Messe, als plötzlich ein mild leuchtender Engel erschien und begleitet von himmlischen Klängen den Pfeil mit der Urkunde auf dem Altar niederlegte. So gelangte die Abtei Prüm in den Genuss der reichen Erbschaft, und das Gedächtnis der frommen Eheleute wurde für lange Zeit jährlich am 30. April gefeiert.
Ich stehe vor der ehrfurchtgebietenden Basilika, betrachte andächtig die anmutige Fassade und lausche gespannt den Geschichten. Da erscheint es fast schon selbstverständlich, dass auch der Jakobspilgerweg mitten durch Prüm führt. Und gerade jetzt, in der Weihnachtszeit, eingehüllt in Licht und Sterne, strahlt sie noch einmal doppelt so schön. Niemand kann sich ihrem Zauber entziehen. Möge sie noch lange glänzen, die Basilika St. Salvator!
Weitere Informationen:
www.ferienregion-pruem.de
https://susanne-wingels.de/pruem-und-die-sache-mit-den-karolingern
Führungen:
buchbar bei der Katholischen Kirchengemeinde – Pfarrbüro, Hahnplatz 17, 54595 Prüm, Tel. 06551/147460, E-Mail: info@pfarreiengemeinschaft-pruem.de, www.pfarreiengemeinschaft-pruem.de
Quellen:
Geschichtsverein Prümer Land/Alois Mayer: „Sagenhaft & Wunderbar – Sagen und Erzählungen aus dem Altkreis Prüm“, 1. Auflage 2010 (www.gvpl.de)
Monika Rolef: „Das neue Prüm – Chronik einer Stadt, Erster Band 1945-1975“, 1. Auflage 2020
Monika Rolef: „Prüm und die Karolinger“ / „Der große Chorteppich in der Sankt Salvator Basilika zu Prüm“ / „Das Chorgestühl in der Sankt Salvator Basilika in Prüm“
TI Prüm: „Karolingerstadt Prüm“ / „Basilika St. Salvator“(Broschüren)