Am 18.03.2020 wird es Zeit, die Eifel zu verlassen und mich an meinem Heimatort in die mehr oder weniger freiwillige Isolation zu begeben. Keine Urlaubsreisen mehr. Jeder kehre in sein Haus oder seine Wohnung zurück – wie in der Bibel: ein jeglicher in seine Stadt… Also Lebewohl Eifel, Lebewohl Freiheit, wer weiß schon, für wie lange und was danach sein wird. Welche Restaurants und Feriendomizile nach der „Reisesperre“ überlebt haben und noch existieren. Und welche geliebten und geschätzten Menschen der Krankheit womöglich zum Opfer fallen.
Nun also, wie ein letzter freier Atemzug, eine Wanderung im Mehlenbachtal. Das Tal macht mich schon lange neugierig, leuchtet es mir doch auf meiner Wanderkarte grün und einladend entgegen. Ich habe mir die Sache auf der Karte genau angeschaut und ein paar Tourenbeschreibungen durchgelesen und mich entschieden, direkt im Tal unterhalb von Niedermehlen zu parken, dort, wo der Wanderweg 8 auf die Landstraße trifft. Auf der Durchfahrt habe ich bereits ausgekundschaftet, dass dort neben der Landstraße ein wenig Freiraum mit zum Parken geeignetem Untergrund vorhanden ist. Spannend klingt auch das Wacholdergebiet, also beschließe ich, beides miteinander zu kombinieren.
So überquere ich zum ersten Mal den Mehlenbach, genieße den Blick auf das Bächlein, das unter Sträuchern geduckt dahinplätschert, und folge zunächst der Landstraße Richtung Westen leicht aufwärts nach Niedermehlen und biege nach 150 Metern links ab in den Wacholderweg. Die Straße ist wie ausgestorben. Klar, wegen Corona sitzt jeder in seinem Haus. Doch hinter der nächsten Kurve begrüßt mich ein Hund äußerst freudig, und seine Besitzerin grüßt entspannt, wünscht mir erst einmal einen schönen Tag (ich mag die Eifelmenschen so gern!) und erkundigt sich dann nach meinem Ziel. „Oh, das Wacholdergebiet, da müssen Sie ja den Weg ganz hoch!“ Ja, das muss ich, und sie beschreibt mir genau, wie mein Weg weiter verlaufen sollte. Ich bedanke mich herzlich für ihre hilfreichen Angaben. Sie bezweifelt, dass der Wanderweg oben schon freigeschnitten ist, und ich sehe das nicht so verkrampft. Zur Not komme ich eben einfach wieder zurück. Außerdem verrät mir meine Wanderkarte, dass es „oben“ Alternativen gibt. Ich hatte mir eigentlich eine tiefer liegende Route ausgesucht. Die Praxis zeigt: Auf dieser Route hätte ich gar keinen Wacholder gesehen. Also hier noch einmal ein ganz herzlicher Dank an die nette Dame mit dem genauso netten Hund. Ich verdanke ihr einen ganz besonderen Moment.
Also einfach immer nach oben. Die kleine gepflasterte Straße lässt das entspannt zu und bietet Aussichten, die alle zwei Meter schon wieder noch spektakulärer erscheinen als einen Moment zuvor. Ein Aufstieg mit Genuss – es müssen etwa 100 Höhenmeter gewesen sein, bei denen jeder Schritt es wert war, gegangen zu werden. „Oben“ ist nicht zu verfehlen. Ich tauche in den Wald ein, sehe rechterhand den ersten Wacholder, als sich zur Linken ein Wald- und Wiesenweg mit einem verwitterten Hinweisschild „Wacholdergebiet“ öffnet, der definitiv noch nicht freigeschnitten wurde. Ich klettere über den Baum, der mir den Weg versperren möchte, und genieße den Wiesenpfad zwischen Waldrand und Weiden, der immer wieder eindrucksvolle Aussichten bietet. Auf der anderen Seite des Tals erhebt sich der Kalvarienberg. Ich kann das Krankenhaus und ein paar Häuser der Ortschaft Tafel erkennen. Mein Weg führt direkt auf eine skurrile Formation aus drei Kiefern zu, doch zuvor lädt mich zur Rechten eine malerische Schutzhütte zum Verweilen ein. Ich setze mich, trinke, esse, schaue auf die Karte und lese dann eine Nachricht. Einer meiner Eifel-Menschen bedankt sich bei mir, weil ich ihm heute Morgen noch etwas Gutes zurückgelassen habe. Ich blicke von meiner Bank aus durch die Fenster und die Tür und genieße die Schönheit der Eifel, die unglaubliche Stille des Landes um mich herum, und der Abschied wird mir noch viel schwerer. Kein Mensch ist in der Nähe – ein guter Ort, um einfach einmal die Seele fließen zu lassen und eine Runde hemmungslos zu weinen. Hört ja keiner. Außer mir ist niemand hier.
Irgendwann ist es wieder gut. Ich trinke etwas Wasser, stärke mich und ziehe weiter. Nach wenigen Schritten erreiche ich die Kiefern, stark und knorrig und ganz einzigartig gewachsen. Wie alt mögen sie sein? Ihr Ausblick über das Tal ist einmalig. Und hier gibt es ihn dann auch in Hülle und Fülle: den Wacholder. Wild und struppig geleitet er meinen Weg, und über ihn hinweg schaue ich hinunter ins Tal und hinüber auf die nächste Hügelkette. Den Germanen war der Wacholder heilig. Irgendwie kann ich das verstehen.
Irgendwann ist es vorbei mit dem Wacholder, und ich treffe auf den breiten, heute etwas schlammigen Wanderweg 17, von dem es heißt, dass er später steil abwärts geht. Mal schauen, wie ich und mein Knie das so verkraften. Vor meinem geistigen Auge bildet sich ein Bild von mir mit schlammverkrusteter Kleidung. Alles dreckig und verschrammt, bloß die Kamera heil und sauber. Auch das gab es schon einmal bei einer Wanderung. An einer Weide öffnet sich ein grandioser Weitblick bis zum Viadukt der Schnellstraße mit viel typischer Eifellandschaft und der eindrucksvollen Architektur der Brücke und der Straße, die sich wie ein Band durch die Natur zieht.
Ein Stück weiter bergab zeigt ein Wegweiser, dass mein Weg (17) sich rechts durch einen Laubwald fortsetzt. Kaum erkennbar schlängelt er sich abwärts zwischen den Bäumen hindurch, und ruckzuck (und ohne nennenswerte Probleme mit dem Gefälle, eher beim Erkennen des Weges) bin ich unten. Das letzte Stück Böschung renne ich, damit ich nicht rutsche (später erkenne ich, dass ich eine Serpentine verpasst habe – so viel zum Thema Geländetauglichkeit).
Und dann bin ich fast im Tal und werde von nun an begleitet von dem freundlichen Plätschern verschiedenster Wasserläufe, die den Weg kreuzen oder parallel dazu verlaufen, und von sprießendem Grün. Ich folge dem Weg nach rechts auf der Suche nach einem Übergang und mit dem Ziel, endlich den Mehlenbach nicht nur aus der Ferne, sondern auch aus der Nähe zu erkunden. Dafür muss ich nur weiter dem Gebietswanderweg 17 folgen. Zwei querliegende Bäume weiter (kein echtes Hindernis, ein malerisches Motiv und zudem gut für mein Wanderer-Abenteurer-Selbstbewusstsein, mit allem fertig zu werden) ist es endlich so weit: über einen Blockbohlenweg gelange ich zu einer Brücke über den Mehlenbach, der sich malerisch durch das weite grüne Tal windet – mäandern sagt der Fachmann wohl dazu. Parallel zur hölzernen Brücke führt eine Furt durch das Wasser, und ich stelle mir den Spaß für Pferd und Reiter beim Durchqueren des Bachbetts vor – es sei denn, einer von ihnen ist wasserscheu oder nutzt die Gelegenheit für ein Bad. Das Gewässer wird begleitet von niedrigen und höheren Büschen, die zeitweise Hecken bilden und sich wie das Dach eines Kirchenschiffs über dem Bächlein wölben.
Auf der anderen Seite geht es wieder kurz bergauf, dann folge ich dem örtlichen Wanderweg 8 nach links bis zu meinem Ausgangspunkt. Immer noch werde ich linkerhand begleitet von dem plätschernden Mehlenbach, auf den ich immer wieder Blicke erhaschen kann. Zur Rechten steigt der Wald teilweise steil an, und von meinem Standpunkt aus, vielleicht 20 oder 30 Meter über der Talsohle, schaue ich zurück auf die andere Seite des Tals, dorthin, wo ich hergekommen bin. Deutlich oberhalb meines Standorts liegt gegenüber das Wäldchen, das ich erreichte, nachdem ich schon eine ganze Weile abwärts gelaufen war. Das Wacholdergebiet wird nur teilweise sichtbar, und plötzlich erkenne ich, wie hoch ich eigentlich war. Hoch über den Dingen, allein in meiner Hütte am Feldrand neben den alten Kiefern.
Ein guter Ort für den letzten Tag in Freiheit – für wie lange, das werden wir sehen.
Parkmöglichkeit: Bleialfer Straße (L17) 50°12’59.1″N 6°23’32.3″E
Daten zur begangenen Route: Länge: gut 4 km, Höhenmeter: aufwärts wie abwärts je etwa 130; Nutzung der Wanderwege 10 (nicht auf der Karte, aber an den Wegen gekennzeichnet), Gebietswanderweg „Route 17“ (Prümer Land) und Ortswanderweg 8 (Prüm)
Weitere Infos: www.ferienregion-pruem.de/wandern
Empfehlung: Wanderkarte Nr. 17 des Eifelvereins, „Prümer Land“, ISBN: 978-3-944-620-00-8