Die Eifel und Alkohol – das ist seit jeher eine gelungene Kombination. Dass jemand seine Liebe und Verbundenheit zu dem rauen und doch idyllischen Landstrich durch Spirituosen ausdrückt und damit international Ruhm und Ehre erlangt, ist dagegen neu und macht mich absolut neugierig! Nicht zuletzt wegen der Parallele zu mir: Das Leben spielt sich eigentlich außerhalb der Eifel ab, und doch fasst man beruflich genau dort Fuß, wo das Herz zuhause ist.
Also machte ich mich – natürlich nicht ohne telefonische Absprache – an einem trüben Herbsttag auf in das für mich immer noch etwas verwirrende Labyrinth an kleinen Ortschaften irgendwo zwischen den Hügeln südwestlich von Schönecken: nach Dingdorf, das laut Wikipedia Ende 2021 111 Einwohner zählte. („Funfact“ am Rande: Genau diese Zahl, 111 Einwohner, zählt Schönecken derselben Quelle zufolge übrigens pro km².)
Einer dieser Einwohner des Dorfes ist Stephan Thomé, der mich in einem umgebauten alten Kälberstall erwartet, und das in bester Gesellschaft: Im Regal über dem massiven Bartisch stehen etliche Sorten Gin, Limoncello, Eierlikör und verwirrend viele Flaschen und Behälter mit dem prägnanten Euelsberger-Logo, einer stilisierten Eule. An der Stirnseite des Raums glänzt mir die Brennanlage entgegen, eine klassische Anlage von Kothe aus 4 mm starkem Kupferblech mit einer 100-Liter-Brennblase, die speziell für die Gegebenheiten vor Ort angefertigt wurde und deren Größe beispielsweise durch Türbreite und Raumhöhe limitiert wurde. Passend zum Ambiente fällt mir auch der stilechte Fußboden aus 2 cm starken Zementfliesen ins Auge, der ganz klassisch ländlich-schwarz-weiß daherkommt und so aussieht, als hätte er auch schon vor 100 Jahren diesen Raum schmücken können. Ich erklimme einen der Barhocker und lausche, wie es zu der Erfolgsgeschichte kommen konnte.
Eigentlich kommt Stephan Thomé gar nicht aus der Eifel; der Hobbykoch aus dem Harz und seine Frau Claudia lebten und arbeiteten sehr erfolgreich in Berlin. Im Herbst jedoch kümmerten sie sich bereits einige Jahre um die Eifeler Streuobstwiesen der Schwiegereltern am Euelsberg, die vor langer Zeit vom Uropa angelegt und gepflegt wurden. 2012 bekam das Paar die Wiesen geschenkt, und der Schwager stellte ihnen zu Recht die Frage: „Was wollt ihr eigentlich mit dem ganzen Obst???“ Es war später am Abend, der Alkohol floss, und plötzlich stand die geniale „Schnapsidee“ im Raum: „Ich baue eine Brennerei!“ Gesagt, getan: Es wurden die Brennrechte beantragt, Gesetze studiert und Techniken und Fertigkeiten erlernt. Und da es schon reichlich Obstbrennereien in der Region gibt, experimentierte der Mann mit dem feinen Gefühl für Aromen und entwickelte aus 120 Kräutern gleich drei Prototypen Gin für die Freunde zum Ausprobieren. Der Cousin der Ehefrau, Eric Remberg (besser bekannt unter dem Künstlernamen Specter), entwarf das Eulen-Logo für die Brennerei am Fuße des Euelsbergs. Der Zuspruch war groß, entscheiden konnte sich niemand so recht, und so gingen gleich alle drei Produkte in Serie, als Mitte 2017 die bereits erwähnte kupfern glänzende Brennanlage im ehemaligen Kälberstall einzog. Der Qualitätsanspruch ist gewaltig. So verwendet Stephan Thomé 4 kg Wacholder zur Herstellung von 100 Litern Gin. Keine der verwendeten Früchte hat den Boden berührt; auf diese Weise werden Verunreinigungen und die Bildung von Pilzsporen ausgeschlossen. Durch einen verlängerten Herstellungsvorgang von 14 Tagen – man spricht hier auch vom Mazerieren – entsteht ein Aroma, das seinesgleichen sucht. Und reichlich prämiert wird. So erhielten mehrere Produkte bereits den „Oscar“ der Branche bei den World Spirit Awards. Bei der „New York International Spirits Competition“ wurde Euelsberger zur „German Gin Destillery of the Year 2019“ ausgezeichnet. 2022 erhielt die Nummer 4 die Auszeichnung „Best German London Dry“ bei den „World Gin Awards“. Innerhalb kürzester Zeit fanden die hochdekorierten Eifeler Spirituosen den Weg in die Spitzengastronomie und die hippen Clubs der Großstädte. Längst hat das Paar die früheren Berufe und das Leben in Berlin aufgegeben und lebt in Dingdorf, wo sich alles um die Gin-Produktion dreht. Der Verkauf erfolgt sowohl online als auch im kleinen Hofladen und im Einzelhandel. Auch Verkostungen und Führungen werden in verschiedenen Varianten angeboten, beispielsweise „analog“ vor Ort oder auch online. Dabei gibt es eine Menge zu lernen: Wie unterscheidet sich ein Gin von einem Geist oder einem Obstler? Wo liegen die Unterschiede im Herstellungsverfahren? Was genau passiert in der Brennanlage? Vor Ort gibt es dann noch Limousin-Rinder und bei einem Spaziergang auch den Euelsberg zu sehen – und auf dem Spielplatz in der Nachbarschaft einen der ältesten Birnbäume in Rheinland-Pfalz. Er ist über 170 Jahre alt.
Nun sitze ich hier und muss mich entscheiden. Mit einem verschmitzten Lächeln legt Stephan Thomé die Reihenfolge fest, in der ich die fünf verschiedenen Sorten verkosten soll, alle gemischt mit Tonic Water. Sie zu unterscheiden ist einfach, denn sie tragen sowohl Nummern als auch einen zusätzlichen Namen, beispielsweise Euelsberger #1 „Pepper & Lemon“. Ich probiere hin und her, immer wieder, spüre den Gin auf der Zunge und lasse den Geschmack auf mich wirken. Es macht Freude, ist spannend, doch die Unterschiede sind gewaltig! Jede Sorte ist anders: die Nummer #1 ist spritzig und pfeffrig mit Zitrone, Euelsberger #2 weich und blumig, bei #3 wird es weihnachtlich – dann wieder schmecke ich den Eifelwald und beim nächsten Gin das Mittelmeer. Mein Favorit??? Natürlich die Nummer #4 mit dem schönen Namen „Eifel“, mit Fichtensprossen und -nadeln, Eichen- und Eschenrinde, Ginster, Mistel, Efeu, Walnuss- und Haselnuss-Elementen, Apfel, Schlehe, Eberesche und natürlich mit Wacholder. Es schmeckt, wie die Eifel riecht und sich anfühlt, wenn ich durch den Wald und über die Höhen laufe. Ein Stück Zuhause! Die Zutaten sind alle vor Ort gesammelt, auf den Wiesen und in den Wäldern. Lediglich der Wacholder ist in der Eifel geschützt und darf hier nicht geerntet werden. Aber auch der „fremde“ Wacholder riecht natürlich nach dem Landstrich, in dem er auf Wiesen aus Kalkmagerrasen wächst und gedeiht, wie in der Schönecker Schweiz.
Eine Frage habe ich noch (denn probieren ist einfach, wenn man einfach alles fertig eingeschüttet präsentiert bekommt): Wie trinkt man eigentlich Gin? Und welche Gläser verwendet man? Mit leuchtenden Augen erteilt Stephan Thomé Auskunft. Pur auf Eis, in einem Tumbler, aus dem man auch Whisky trinken könnte, schmeckt Nummer #3 „Plum Oriental“ besonders gut, das ist der, den ich insgeheim den „Weihnachtlichen“ nenne (kein Wunder, es ist ja auch Sternanis auf der Zutatenliste). „Meine“ Nummer #4 eignet sich auch sehr gut für Cocktails. Klassisch trinkt man Gin als „Gin Tonic“ aus einem Wein- oder Longdrink-Glas, mit Tonic Water im Verhältnis 1:4 oder auch 1:3 gemischt. (Nur um „Schnapsideen“ vorzubeugen: der Gin sollte dabei den kleineren Teil ausmachen!)
Na, da schenke ich doch gerne nach und genieße den Gin aus der schönen Apothekerflasche mit Korken und dem stilvollen Eulen-Etikett. Und kann sie mit nach Hause nehmen, meine Eifel, und noch eine Weile davon trinken. Prost!
Weitere Infos:
Interessante Artikel/Podcast mit noch mehr Infos:
https://eifelpodcast.de/2022/05/08/euelsberger-gin-aus-der-eifel/
https://www.euelsberger.com/news/2019/2/2/volksfreund-euelsberger-gin-aus-der-eifel-erobert-hongkong
https://zeitung.faz.net/faz/unternehmen/2020-06-08/d10ca1429d850eca09bccba02956c09a/?GEPC=s9
https://www.amagin.de/produkt/euelsberger-gin-1-pepper-and-lemon/